"Auch diese Zustände - Diese Zustände auch" 2016 im K25 Ausstellungsraum Luzern

In dieser deutsch-schweizerischen Begegnung im K25 Ausstellungsraum in Luzern verbinden die beiden Künstler Roman Sonderegger und Michael Thurm ihr mediales Verständnis von Räumen und Zuständen: nicht nur Schrödingers Katze kann gleichzeitig tot und lebendig sein, nicht nur Wasser kann gleichzeitig flüssig, fest und gasförmig sein. Zeit ist immer jetzt und vergangen. Räume sind geschlossen und offen.

Herzlich Willkommen in diese Anordnung stabiler, möglicher, instabiler und unmöglicher Zustände und Wechselwirkungen des sogenannten Katzenzustand. Roman Sonderegger und Michael Thurm erweitern diesen noch jungen Ausstellungsraum durch Linien und Flächen, sie setzen neue Gleichzeitigkeiten von Blickwinkeln und Konstellationen. Blöcke von Holz und Schwarz verschwimmen zu neuen Grenzen und erweitern die physischen Abmessungen des Raums, dehnen sich aus und betasten die Grenzflächen.

Der Katzenzustand war eine Hilfsmetapher des österreichischen Physikers und Nobelpreisträgers Erwin Schrödinger, dessen Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“ aus dem Jahr 1935 zu Weltruhm kam. In aller Kürze illustriert dieses absurde Beispiel unvorstellbare atomare Mikro-Zustände anhand eines eigentlich unmöglichen Zwischen-Zustands von Leben und Tod einer Katze als Versuchstier in einem Physikexperiment bzw. den un-entschlossenden/offenen Zustand eines Atoms, welches zerfallen könnte, aber nicht zwingend zerfallen muss. Ein Gedankenexperiment wie dieses, kennzeichnet den Beginn der in den späteren 1960er Jahren erstarkenden philosophischen Strömung des Radikalen Konstruktivismus, der den Zweifel an unerschütterlichen objektiven Beobachtungen durch einen Forscher bzw. eine Beobachterin zugibt und sogar willkommen heißt. Die durch Beobachtung normalerweise leicht zu treffende Aussage, ob die Katze während oder nach einer Stunde in der Stahlkammer noch lebt, ist nicht sicher möglich, denn ein Nachsehen und Überprüfen könnte den Zerfall des todbringenden Atoms beim Öffnen der Stahltür erst recht auslösen - und dann hätten wir statt Gewissheit oder Widerlegung einen Messfehler.
Der „Katzenzustand“ ist eine Metapher auf die sprachlich schwer zu beschreibenden und neuartigen Entdeckungen der Physik des 20. Jahrhunderts, die als „Prinzipien der Unbestimmtheit“ und als „Unsicherheitsrelationen“ bezeichnet wurden und die eine vorherrschende „Denkökonomie“ aufbrechen sollten und letztlich der Beseitigung sprachlicher Widersprüche und angenommener disziplinärer Denkgrenzen dienen sollten, um eine neue physikalische Dimension und Disziplin der Quantenphysik auszubilden, die den bisherigen physikalischen Regeln völlig widersprach.

Dieses Paradoxon wechselwirksamer gleichzeitiger Zustandsmöglichkeiten war und ist die Inspirationsgrundlage dieses künstlerischen Zwiegesprächs von Roman Sonderegger und Michael Thurm. Die beiden sind also zusammen, miteinander gereist, haben stetig geplant, sich getroffen und ein jeder hat seine Arbeiten passgenau produziert und diese haben sie schließlich hier gemeinsam arrangiert. Ihre künstlerischen Praxen unterscheiden sich sehr: So schafft Roman Sonderegger fleißig im Atelier handwerklich versiert in verschiedenen Zyklen, mit verschiedenen Materialien, oft mit Hilfe von Skizzen und Modellen und läßt sich nur von den räumlichen Begrenzungen und der Schwerkraft maßregeln.
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Roman Sondereggers Arbeitszyklus: „wie geht es der katze, erwin?“ und „wie ging es der katze, erwin?“, beides Rauminstallationen aus Schaltfafeln, Schraubzwingen und Spriessen, die mit dem Konzept des „cubes“, bzw. der Box spielen und die Illusion des neutralen weissen Ausstellungsraumes, der die Kunst durch die scheinbare Neutralisierung der Raumarchitektur sowie auch der scheinbar perfekt verschlossenen Stahlkammer Schrödingers durch ihre Lässigkeit im Aufbau wirkungsvoll unterwandern, eröffnen neue Denkräume und zeigen auch ihre Grenzen und Berührungszonen. „filter“, eine weitere Objektinstallation Sondereggers, prominent im Schaufenster und eigens für diesen Ort entwickelt, versetzt ihre Umgebung in Schwingung, blockiert tatsächlich bestimmte Spektren der Realität und setzt neue Streifungen dank wechselnder Sonneneinstrahlung und -intensität. Unser Blick hinein und hinaus - und damit die Wirkung des Raumes jetzt und morgen und gestern - bleibt damit unstetig und wechselhaft. Die Holzschnittvariationen „eine nach der anderen“ schaffen schließlich die Übergänge zwischen Schwere und Leichtigkeit. Die Linien stoßen gegen einander, gegen den Rahmen, gegen das Papier, gegen die Besucherin und gegen die anderen Arbeiten und überlagern gleichzeitig träge im Auge, manchmal auch mit dem Schatten des „filter“ und bilden.

Aus der Eröffnungsrede von Katja Langeland, Juli 2016